Draußen steht entgegen seiner Erwartungen kein Wagen mit Essen, sondern lediglich eine Mitteilung, dass Essen im Garten erfragt werden kann, oder er sich am Buffet auf dem Dach bedienen mag. Und Zaina würde ihn danach schon treffen, wenn er satt ist. Wie auch immer sie wissen will, wann er das ist. Als letzte Mitteilung erfährt er noch, dass heute nachmittag frisches Kokosnusseis hergestellt wird.
Das findet er gut, denn so wird kein Essen verschwendet. Das in Aussicht gestellte frische Kokoseis lässt ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er sucht den Weg zum Dach, wo das Buffet warten soll, recht zielstrebig.
Am hinteren Ende des Stockwerkes findet er dann auch neben Fahrstuhl auch die zweite Treppe, mit denen man nicht nur zum Dach, sondern wohl auch nach unten kommen kann. Auf dem Dach kommt er erstmal in den versprochenen Dachgarten, an den sich an der Seite der Parkour anschließt. Auf einer kleinen Wiese im Gesträuch ist neben einem langen Tisch aus Sandstein auch eine Fläche mit Wärmeplatten und Isolation aufgebaut, auf welcher verschiedene Töpfe mit Suppen, Salaten, Brotsorten, Käse und Aufstrichen stehen. Dazu kommen Kannen Kaffee, Kakao und Tee, allesamt wohl auch dem Kernreich importiert, wenn man den Beschriftungen trauen kann. Der in Lehim gewonnene Kakao ist nur eine kleine Produktion und wird vor allem für Schokolade verwendet. Tee und Kaffee werden hier nicht angebaut.
Auf dem Tisch findet sich auch Geschirr und Besteck, dazu noch Sitzangelegenheiten in Form von Gartensesseln, Hockern und Kissen. Ein regenfester aufgespannter Stoff schützt vor Nachmittagsregen und Sonneneinfall. In der Nähe steht eine leicht nach Gewürz riechende Flammenschale. Solche Schalen sind üblich, um Insekten abzuhalten und auch Vögel und kleine Nager eher abzuschrecken.
Danyal betrachtet den Parkour. Den wird er irgendwann ausprobieren, wenn es ihm besser geht. Dann gießt sich einen großzügigen Pott Kakao ein. Dazu nimmt er Brot, einen pflanzlichen Aufstrich und Salat. Mit seiner Beute macht er es sich an einem Tisch mit Gartensessel gemütlich. Er lässt sich Zeit beim Essen, das hat er verdient nach all dem Schrecken. Außerdem holt er sich zwei Mal Kakao nach, den er genüsslich schlürft. Einen Kaffee zu trinken, erscheint ihm momentan unvorstellbar.
Noch immer schläfrig und in tiefer Melancholie versunken blinzelt er anschließend in die Sonne, während er im Dachgarten verweilt, auf den Regen wartend oder auf Zaina. Vielleicht hätte er ein Buch mitnehmen sollen.
Stand sie schon immer da an der Brüstung oder ist sie nur eben aufgetaucht? So richtig sicher kann sich Danyal nicht sein, aber vielleicht ist er auch so müde, dass er in seiner Wahrnehmung beeinträchtig ist. Allerdings scheint er sie auch im richtigen Moment bemerkt zu haben, denn unter Danyals Blick lässt sie die Inhalationsampulle, die sie in der Hand hielt, flux in eine Hemdtasche verschwinden. Sie wäre fast nicht da gewesen. Die Frage ist nur, war die Ampulle für ihn oder für sie oder für jemand ganz anderen.
Nun, der Morgen ist ja jetzt schon vorbei, aber ich grüße dich in jedem Fall, Danyal. Hast du noch Lust aufs Training oder bist du wegen Thars Weggang, den ich auch erst heute morgen erfahren habe, nicht in der Lage?
Danyal stellt den Becher mit dem Rest seines Kakaos ab.
Mein Körper hat viel Schlaf und Ruhe gebraucht und der Rest von mir auch. Es muss weitergehen, auch ohne Thar.
Man sieht ihm wohl an, dass ihn die Abwesenheit des sturen und launischen Hüters schwer bedrückt, auch wenn er sich zusammenreißt. Ihm fehlt Thar sehr.
Uns werden irgendwelche Zwillinge ... als Ersatz geschickt. Ja, wir können mit dem Training starten.
Einen Kommentar zur Ampulle macht er nicht, da er davon ausgeht, dass Zaina vielleicht Asthma oder eine andere Lungenkrankheit hat und es ihr unangenehm ist, auf ihre Medikamente angesprochen zu werden.
Für einen Moment ist sie wie erstarrt, dann fängt sie sich wieder. Irgendeine Linie in ihrem Gesicht war kurz angespannt, um sich dann zu glätten. Es sind so Details, die Danyal nun auffallen, an welchen er Stimmungsschwankungen und Emotionen ablesen kann. So mag es ihm helfen, angebliche Hexen besser zu lesen.
Das ist ungewöhnlich, aber dann wohl auch wieder nicht. Scheinbar misst Faantir Gried der Sache größere Bedeutung zu als ich dachte. Ich bin peinlich berührt, dass ich ihn nach sovielen Jahrzehnten immer noch unterschätzen mag, auch wenn ich in seiner Regierung war. Offensichtlich messen wir beide deiner Arbeit hier größere Bedeutung zu. Ich habe das erst nach deinem Wirken in Hatha bemerkt, der Shaikh von Alegon hat gleich etwas in dir gesehen. Das bedeutet, dass die Ansicht auf das Agentenprogramm doch nicht so ablehnend ist, wie ich es bei Faantir angenommen habe.
Sie zögert unmerklich und ihre Augen streifen über Thar von oben bis unten.
Oder er sieht in dir ein besonderes Potential. Muss wohl so sein, sonst würde er weder Thar noch seine Experten schicken. Das macht es umso wichtiger, dass wir über Körperspannung, Haltung und Szenenbeherrschung sprechen. Allerdings - wenn es ihm so wichtig ist, dann hätte der Meister dich auch gleich selbst ausbilden können. Aber gut, vielleicht hat er auch mit Ishri oder mir gerechnet.
Seine geschärfte Wahrnehmung irritiert ihn kurz. Vielleicht ist das eine Nachwirkung der Medikamente. Andererseits fühlt er sich auch erstaunlich vital dafür, dass man ihn derart zusammengetreten hat.
Zaina, ich habe schon wieder viele Fragen. Unter anderem zu der Medizin der Lehimi, oder wessen Medizin es auch gewesen sein mag. Nachdem ich noch gestern in denkbar schlechtem Zustand abgeholt wurde, habe ich heute nicht mehr als einen einzigen blauen Fleck zurückbehalten. Wie ist das möglich?
Natürlich bleiben auch Fragen zum Dienst nicht aus:
Welcher Meister denn? Und für was sind die Zwillinge Experten? Es fällt schwer zu glauben, dass irgendwer in mir besonderes Potenzial sieht, nachdem Thar in mir einen Verräter sieht, der den Ruf der Stiftung zu ruinieren droht und nicht einmal der Trupp von Inad Sarin, der eigens zu Thars und meiner Rettung entsandt wurde, mich am Ende retten wollte.
Klar, ich gebe mein Bestes und betrachte mich als engagiert, aber scheinbar bin ich damit nicht sonderlich erfolgreich, wenn ich mir das Fiasko in der Botschaft von Lehim und im Krankenhaus ansehe.
Ich habe dir ein wenig aus meinem persönlichen Besitz gegeben. Deswegen dränge ich ja darauf, dass du es langsam angehen lässt, weil es geliehene Kraft auf Zeit ist. Du brauchst vor allem regelmäßige Mahlzeiten und geruhsamen Schlaf, um die Nachwirkungen zu bearbeiten. Wenn du es so sehen willst, habe ich dir ein wenig Kraft gegeben, damit du erstmal aus allem raus bist. Aber eine Woche wollte ich dir in dem Krankenhaus bei all den Fragen und mit der Irren da nicht zumuten. Nebenwirkungen können Wahrnehmungsschärfungen sein, aber bei entsprechender Schwäche auch Wahnvorstellungen auslösen. Da kann man dann seinen Sinnen nicht völlig trauen. So du dir Ruhe gönnst, wird es aber keine Langzeitfolgen geben. Als kleine Motivation dafür: Im Extremfall endet man wie Ishri, leicht abgehoben, ein wenig wahnsinnig und gezeichnet am Körper. Ich habe diese Spuren nicht, weil ich über Selbstkontrolle verfüge.
Also mag es für "Hexerei" durchaus eine medizinische Erklärung geben. Aber alles kann das auch nicht sein.
Faantir Gried hat Ishri, Xaxai und mir und auch anderen die Technik beigebracht, die ich an dich ansatzweise weitergeben werde. Mit der ist er ja Champion der Streitkräfte geworden. Und die Zwillinge sind Profiler und Spurenermittler, weil du ja die Personen erspähen muss und Spuren nachgehen sollst. Sie sind mit die besten, welche für die Krimimalpolizei bei der Stiftung arbeiten.
Aus deinem Besitz? Heißt das, nun geht es dir schlecht? Gemessen an der Differenz, wie es mir vorher ging und wie es mir jetzt geht, müsste das eine Menge ... Kraft gewesen sein. Aber was genau ist das eigentlich? Ich bin auf das Training nach den Techniken von Faantir Gried in jedem Fall gespannt. Keine Sorge, ich werde mich schonen. Ishri hatte womöglich keine Wahl, es ruhig angehen zu lassen. Was sie nicht sympathischer macht, aber eine Erklärung sein könnte.
Er zögert kurz ehe er ergänzt:
Ich hatte eine extreme Wahnvorstellung, die mich ziemlich fertiggemacht hat. Ich sah Thar zerfleischt am Boden liegen und über ihm stand die verrückte Frau mit der Klaue.
Das tut mir Leid, aber hier sollte sie uns nicht so schnell finden können. Soweit ich weiß, ist Thar heute morgen zurück in die Hegemonie gereist. Ich habe jedenfalls eine entsprechende Nachricht bekommen. Hat er sich bei dir nicht gemeldet?
Hat er scheinbar nicht, da war nichts auf dem Pad, so überhaupt nichts.
Ich habe Reserven für Notfälle. Es handelt sich um spezielle Präparate der Stiftung Persuna, die allerdings nur aus endlichen Stoffen hergestellt werden können. Deswegen gibt es das nicht auf dem Markt als normales Produkt. Die Herstellung ist teuer, weswegen wir auf Hexen besser verzichten wollen. Tempelkult und Geisterkult haben ihre eigenen Quellen und Mittel dazu, aber es sind an sich andere Produkte.
Warten wir am besten noch ein paar Minuten für deine Verdauung ab. Hast du schon ins Archiv gesehen und dort etwas entdeckt, das dir helfen könnte?
Präparate, die Kraft spenden und die Heilung vorantreiben? Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt! Und so was ist nur für Hexen angedacht, weshalb keine Hexen eingesetzt werden sollen? Macht es dir was aus, mir das kurz zu erklären? Du kannst dich gern dazu setzen, es gibt genügend Sessel.
Der Blick auf das Datenpad zeigt Danyal neben einer überglücklichen und vor Freude ob der Beachtung vor lauter Herzchen und Küsschen schier überquellenden Antwort von Tiam keine weiteren Nachrichten.
Scheinbar schmollt Thar mit mir oder hat sogar beschlossen, nie wieder ein Wort mit mir zu wechseln, weil er mich für einen Verräter hält. Vielleicht hält er es auch schlichtweg für Zeitverschwendung, weiter mit mir zu kommunizieren, da er sich wieder anderen Aufgaben widmen muss. Nichtsdestoweniger freue ich mich zu hören, dass er wohlbehalten in der Hegemonie angekommen ist.
Ich war schon im Archiv, habe mich aber gestern zu müde gefühlt, um zu lesen. Aber zwei Bücher, die auch für uns interessant sein könnten, habe ich mir rausgelegt: eines über Architektur und verborgene Winkel und eins über die berühmteste aller Hexen, wobei ich noch nicht weiß, wer das sein soll. Es gibt aber noch mehr Literatur, die für uns interessant sein könnte, unter anderem auch umfangreiches Kartenmaterial.
Ich weiß nicht, ob ich dir da viel erklären kann. Absolutes Augenmaß, Körperkontrolle und Reflexe sind nunmal für Menschen jenseits eines bestimmten Alters nicht erreichbar und auch davor braucht man Veranlagungen. Nachdem das Blutgesetz mit uns fertig war, haben wir die Mittel bekommen, das auch in Situationen nach Maß einzusetzen. Die Nachteile sind immens, unter anderem kann man sich nicht mehr betrinken. Und ich mochte ein Glas Wein oder auch Schnaps vorher recht gern. Und natürlich hat uns das verd- äh verehrte Blutgesetz noch andere Gaben überlassen. Das Training kam später. Als Kind konnte uns Faantir Gried wohl kaum trainieren.
Sie macht nicht Anstalten sich zu setzen, sondern nimmt sich einen halben Becher Kakao, um dann stehen zu bleiben.
Die Karten helfen uns sicher sehr. Das Buch über Architektur ist eher in Ashar oder den Heiligen Städten zu gebrauchen. Besonders Mehita ist ja für seine geheimen Gärten berühmt.
So berühmt, dass Thar noch nie davon gehört hat.
Berühmt für seine geheimen Gärten ... ist das nicht ein Widerspruch? Es sei denn, sie waren früher geheim und haben heute nach der Erforschung nur ihren Namen beibehalten.
Das Blutgesetz hört sich fast an wie ein Chemielabor oder ein medizinisches Institut. Sich nicht mehr betrinken zu können, finde ich ziemlich gut. Alkoholisierte Menschen bieten nicht wirklich einen Mehrwert.
Danyal mag die Gegenwart berauschter Menschen nicht sonderlich, was einer der Gründe ist, warum er nichts mit den Veranstaltungen in den Tempeln zu tun haben will. Noch weniger will er freiwillig die Herrschaft über seine eigenen Sinne und seinen Körper abgeben, indem er sich berauscht. Von daher scheint ihm die mysteriöse Substanz ein guter Schutz zu sein, gegen seinen Willen berauscht zu werden.
Verhindert das Mittel auch die Wirksamkeit irgendwelcher Drogen? Oder vielleicht sogar Gifte? Alkohol ist, wenn man es so will, ja ein Nervengift.
Es ist kein Allheilmittel mit eindeutigen Antworten oder Wirkungen. Zudem hat niemand das dringende Bedürfnis, das alles auszutesten. Die Antwort lautet also "wahrscheinlich". Und das mit den Gärten stimmt sicher. Verborgen wäre vielleicht passender. Aber geheim ist ihre Lage ja insofern, dass man nicht weiß, wo sie sind. Nicht geheim ist, dass sie existieren. Wenn du eine Geheimbotschaft suchst, weißt du ja auch, dass eine solche existiert, aber kennst halt ihren Inhalt nicht.
Na ja, ich meinte die üblichen Alltagsdrogen. Ich hoffe, wenigstens Kaffee hat für dich noch eine Wirkung. Gibt es zum Rest keine chemischen Berechnungen oder Tierversuche, wie sie für Medikamente üblich sind? Aber wahrscheinlich sind die Details auch eher nicht für die Öffentlichkeit gedacht, auch wenn ich das schon interessant finde.
Willst du mal mit ins Archiv kommen und wir schauen, welche Literaturauswahl wir gebrauchen könnten?
Klar können wir uns das ansehen. Und Kaffee ist leider auch nur bitte Bohne ohne Wirkung. Aber wenigstens macht mich Schokolade noch glücklich. Hast du vor Ankunft der Zwillinge schon Pläne? Wo wir genau sind, weißt du, oder?
Pläne? Nein ... ich habe ja damit gerechnet, die nächsten Tage und vielleicht Wochen damit zu verbringen, mich auszukurieren. Wahrscheinlich habe ich wieder nicht richtig zugehört, aber ich weiß nur, dass wir uns in einem Anwesen des Großwesirs befinden, irgendwo auf Lehim. Vielleicht kannst du mir auf die Sprünge helfen?
Er trinkt seinen Kakao aus, bringt das dreckige Geschirr zur entsprechenden Ablage und führt Zaina anschließend in seine Unterkunft. Dort steht noch immer sein Gepäck herum, weil er es bisher nicht in den Schrank einsortiert hat. Die Taschen sind geöffnet, weil er darin herumwühlte, als er sich seine Sachen zusammensuchte. Er holt die beiden besagten Bücher aus seinem zerwühlten Bett, falls Zaina ausgerechnet in diese hineinschauen will, dann zeigt er ihr den Weg zum Archiv.
Die Bücher ignoriert sie, aber im Archiv tippt sie auf die Karte.
Wir sind hier in Selet. Hier gibt es auch einen regionalen Flughafen, von dem Thar aus geflogen ist. Ich denke, die neuen Ermittler werden dir helfen können, die Kultisten aufzuspüren und den Lehimi die Hinweise auf diese zu geben. Ansonsten ja, ruh dich vor allem aus, damit es dir besser geht. Lerne Lehim kennen. Das hilft dir sicher auch weiter. Vor allem aber spring nicht jedem Hinweis gleich selbst hinterher. Die Kultisten zögern nicht, dich zu töten.
Danyal betrachtet die Karte, um sich zu orientieren.
Ah, in Ordnung. Welcher Stelle der Lehimi soll ich die Hinweise zu den Kultisten denn geben?
Leise regt sich die Befürchtung, dass diese sich erneut von ganz allein zeigen werden, sobald sie Wind davon bekommen, wo Danyal sich herumtreibt. Sie haben es aus irgendeinem Grund auf ihn abgesehen.
Ich glaube, du hast Recht mit deiner Warnung. Aus irgendeinem Grund mögen mich die Kultisten nicht.
Andererseits mag ihn scheinbar generell niemand, seit er Agent ist.
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