Beiträge von Danyal Khaje

    R O L L E N S P I E L:

    Danyal bleibt im Gegensatz zu vielen anderen ruhig. Was nun geschieht, liegt nicht in seinen Händen. Er vertraut dem Piloten, der schließlich selbst auch heil nach Hause kommen will, sein Mögliches zu tun. Den Rest übernehmen die Götter, wie es ihnen beliebt. Ohne sichtbare Regung wartet Danyal ab, während der Sturm die Maschine durchschüttelt.

    Nach der Landung lässt er den panischen Leuten den Vortritt und steigt als einer der letzten aus. Mit voller Wucht schlägt ihm der Tropensturm ins Gesicht und versucht, ihn von den Beinen zu reißen. Was für ein Pisswetter, begeistert schaut Danyal sich um. Er mag Sturm, auch wenn er sich ob der Schäden, die ein Unwetter anrichten kann, völlig im Klaren ist. In der Urgewalt der Elemente liegt etwas, das ihn zutiefst begeistert, vielleicht ist es die gleiche morbide Faszination wie jene, die ihn dazu bringt, seinen nächsten Urlaub in den Gruben verbringen zu wollen. Womöglich ist es aber auch das Toben von Upinash, dessen Präsenz er in jedem Sturm zu spüren glaubt.

    Binnen Sekunden ist er bis auf die Unterwäsche durchnässt. Mit seinem Gepäck sucht Danyal eine Unterkunft bei den Betonbauten, an denen der Wind sich heulend bricht. Vermutlich ist er einer der wenigen mit guter Laune. Sogar sein Haargel hat dem Wetter standgehalten und die Frisur sitzt. Die zur Uniform gehörende Mütze hat er nicht aufgesetzt, sie würde ihm davonfliegen.

    R O L L E N S P I E L:

    Auch wenn es natürlich zu erwarten war, dass Thar Hanum ihm nicht seinen wahren Namen nennen würde, ergreift Danyal ein Gefühl von Frustration. In dem Spinnennetz der Hegemonie hängt er gefangen und ist doch darin zu Hause. Futuna, das Land, in dem die Schöpfung hernieder kam, um das Netz zu weben, das fortan alle Geschicke lenken würde. Warum kann Danyal nicht nach den Fäden greifen und sich dem Marionettenspiel anschließen, sondern hängt darin verheddert wie eine Fliege?

    Das süße Essen holt ihn aus seiner Grübelei. Er hätte um künstliche Süßungsmittel ohne Einfluss auf den Blutzuckerspiegel bitten sollen, freut sich nun aber, sich uneindeutig ausgedrückt zu haben. Er macht ein Foto und lässt es sich schmecken. Mit dem Blutzuckerspiegel steigt seine Laune wieder. Die Teller räumt er allesamt restlos leer, auch das Glas trinkt er aus.

    Bevor das Flugzeug startet, schreibt er Tiam eine Nachricht. Er packt ihm das Foto seiner vollen Teller dazu und eins von sich, wie er nach dem Essen schläfrig in seinem Sitz hängt. Darunter steht:

    Bin hart am Arbeiten.

    Seinen Eltern schickt er ein Foto von dem bunten Lichtermeer von Diyarasu und den Hinweis, dass es ihm gut ginge, ehe er das Datenpad wieder wegsteckt und hinaus in die aufziehende Nacht blickt. Während das Flugzeug startet, betrachtet er das vorbeiziehende Schauspiel leuchtender Farben. Als das Flugzeug Diyarasu hinter sich gelassen hat, schließt Danyal die Augen und versucht ein wenig zu schlafen.

    R O L L E N S P I E L:

    Danyal antwortet auf den Hinweis des Shaikhs, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht als Schutzschild für Beleidigungen verwendet werden darf, wie es leider oft Brauch ist, und dass er zu seinem Fehler steht, ehe Faantir Gried vorerst wieder aus seinem Leben verschwindet. Danyal sieht ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen ist, dann vertreibt er sich die Zeit mit seiner Uhr, bis die Flugbegleitung ihn anspricht.

    Er überlegt, ob er das Angebot annehmen möchte, in den abgetrennten Bereich zu wechseln, oder ob er sitzen bleiben soll, um den Leuten zuhören zu können, entschließt sich dann aber für den Wechsel. Nach dem Stress ist es besser, wenn er etwas Ruhe bekommt, bevor er sich wieder ins Getümmel stürzen muss. Die Flugbegleitung bittet er außerdem um eine Süßspeise, wenn möglich mit Süßungsmitteln statt Zucker, den sein Körper sitzend und ohne geistige Anstrengung gerade nicht wirklich braucht, zudem hätte er gern etwas stilles Wasser.

    Als er Platz nimmt auf seinem neuen Sitz, fällt ihm auf, dass Faantir ihm die Kontaktdaten von Thar gar nicht gegeben hat. Während er auf Speis und Trank wartet, stöbert er auf seinem Datenpad herum, wo er im Weltnetz nach Thar Hanum sucht.

    R O L L E N S P I E L:

    Wobei der Shaikh mit seinem Ruf als Schreckgespenst tatsächlich in die Rubrik windig einzuordnen ist, aber das darf Danyal natürlich nicht aussprechen. Stattdessen ärgert er sich darüber, dass ihm sein Kommentar zur Windigkeit herausgerutscht ist.

    Das hätte ich nicht sagen dürfen. Tut mir leid.

    R O L L E N S P I E L:

    So ist es nur recht, dass Faantir ihn zappeln lässt. Danyal bleibt nichts übrig, als die Flugbegleitung zu fragen, falls die sich noch mal blicken lässt.

    Er schaut auf seine Uhr, die gerade über Malve und Kobaltblau zu Cyan wechselt. Cyan! Das wurde aber auch Zeit. Wahrscheinlich würde er auch dahintergestiegen sein, was mit seiner Uhr nicht stimmt, wäre er besser des Zuhörens mächtig.

    Ich nahm an, Geschäftsleute wären immer windig. Andererseits habe ich mit denen für gewöhnlich nicht viel zu tun.

    R O L L E N S P I E L:

    Danyal schnallt sich ab und marschiert wie ein Aufziehmännchen in die Flugzeugtoilette. Die Blase drückt ihm schon eine Weile. Aufgrund seiner Nervosität muss er pinkeln wie ein Pferd. Gründliches Händewaschen nicht vergessen, danach benutzt er wieder den Ärmel als Handschuh, wie immer im öffentlichen Raum, wenn er keine Einsatzhandschuhe trägt. Die baumeln an einem Karabinerhaken an seiner Jacke.

    Kurz darauf lässt er sich wieder in den Sitz fallen, gefühlt um einen Liter erleichtert.

    Wie geht es dann weiter, muss ich umsteigen oder steigen die anderen zu?

    Diese Sichtweise gefällt mir.

    R O L L E N S P I E L:

    Danyal lächelt. Zwar steht es ihm nicht zu, die Sichtweise des Shaikh zu bewerten, aber in dem Moment tut er es trotzdem. Das erste Mal während ihres Gesprächs hat er das Gefühl, dass sie in einer Sache ganz auf einer Linie sind. Und so stellt er auch keine Fragen zu den Details von Faantirs Glauben, um den Blick nicht wieder auf mögliche Unterschiede zu lenken. Vielleicht fragt er ihn das nächste Mal, daheim in Alegon.

    Dass unsere Überlegenheit statisch ist, wollte ich nicht ausdrücken. Ich halte im Gegenteil beständigen Fortschritt für essenziell. Aber die Futunen haben zweifelsfrei das größte Potenzial von allen Völkern und haben gelernt, es zu nutzen. Darum sind wir, was wir sind. Unser Ziel sollte sein, überlegen zu bleiben und das bedeutet, wie du richtig feststellst, beständige Optimierung. Nicht von ungefähr ist Upinash mir am nächsten unter den Kadahra Medala.

    Ich selbst ehre die Götter und meine Eltern haben mich im Sinne des Tempelkults erzogen. Atheismus ist eine Weltsicht, die sich rein an wissenschaftlichen Fakten orientiert. Auch für den Tempelkult schließen sich Wissenschaft und Glauben nicht gegenseitig aus. Man darf nicht vergessen, dass auch die Geistes- und Religionswissenschaften akademische Disziplinen sind. Ich persönlich kann die Weltsicht der Atheisten nachvollziehen, mir tut es aber manchmal leid, dass die Welt für sie so kalt und tot erscheinen muss. Dass sie den göttlichen Funken der Schöpfung nicht spüren können.

    R O L L E N S P I E L:

    Sein Blick schweift aus dem Fenster, als die Erinnerung ihn plagt. Hätte Ghazi Respekt vor der Schöpfung gekannt, wäre er nicht in Hassakur gelandet. Es gibt niemanden, an den er in diesem lebensfeindlichen Ort seine Gebete richten kann und er verschließt sein Herz gegen jedwede Hoffnung. Düster und voll Bitterkeit ist seine Welt und Ghazi kämpft all seine Kämpfe allein. Danyal fragt sich, ob Atheisten ein bestimmter Sinn fehlt oder ob sie bewusst ihre Herzen verschließen, weil sie nicht spüren wollen, was sie nach ihrem Verständnis nicht spüren dürfen.

    Wie stehst du zum Atheismus, Faantir?

    R O L L E N S P I E L:

    Er blickt wieder zu seinem Sitznachbarn herüber.

    R O L L E N S P I E L:

    Danyal runzelt die Stirn, als der Shaikh über seine Ausführungen lacht.

    Meine Worte sind ernst gemeint. Ich kenne kein Argument, was gegen die futunische Überlegenheit spricht. Wer weiß, was die Zukunft bringt, aber ich bin eher pessimistisch ob der Möglichkeit, dass ich eines Tages deine Einstellung teilen werde.

    R O L L E N S P I E L:

    Er ist nicht einmal sicher, ob dies wirklich die Einstellung von Faantir ist, oder ob er ihn auf den Arm nimmt. Warum sollte der sich als Shaikh von Alegon engagieren, wenn ihm Futuna doch unwert vorkommen würde? Nein, das kann nicht stimmen.

    Meine Meinung zu den Fraktionen ist nicht sonderlich fundiert, da ich als Einsatzkraft meinem Dienstherrn verpflichtet bin. Seinem Befehl gilt mein Augenmerk. Erst war mein Dienstherr das Futunische Oberkommando in Tzaris, momentan ist es dein ehrwürdiger Bruder. Doch wer weiß, wo ich landen werde, falls er mich leid ist? Mit politischen Einschätzungen muss ich daher Zurückhaltung walten lassen. Das hat etwas von einem Söldner, gilt aber für viele Parshans.

    Der Grund ist ein ganz pragmatischer: Ich möchte mir viele Wege offen halten. So lange, bis ich jenen Weg gefunden habe, den ich bis zum Ende gehen will, um mich fortan auf Gedeih und Verderb an einen Dienstherrn zu binden, den ich nie mehr verlasse, es sei denn liegend in einem schwarzen Sack. Ob es je dazu kommen wird, steht auf einem anderen Blatt.

    Die futunische Überlegenheit ist für mich keine Legende, sondern Fakt. Ich spreche nicht von mir als Einzelperson, sondern von den futunischen Volksstämmen in ihrer Ganzheit. Man muss kein Soziologe zu sein, um unsere Überlegenheit zu erkennen, man braucht nur vor die Haustür zu treten und sich umzuschauen. Dass einzelne Innovationen gelegentlich auch von außen kommen können, mag sein, schließlich haben wir unser Genom überall verbreitet.

    Die letzten großen Probleme werden momentan auf breiter Fläche in Angriff genommen, wie du sagst. Ich bin stolz darauf, als Agent einen kleinen Teil dazu beitragen zu können. Futuna lebt und atmet, es entwickelt sich und lernt, andere stagnieren und gehen unter. Wir sind dem Rest der Welt in jeder Hinsicht überlegen. Ich sehe keinen Grund, unser Licht unter einen Scheffel zu stellen.

    Die Akademie werde ich natürlich fragen, wenn sie mir begegnet. Mal sehen, was sie sagt.

    R O L L E N S P I E L:

    Und ob sie ihm danach zur Strafe wieder eine Orgie auf den Hals hetzt oder was sie sich diesmal einfallen lässt, um ihn zu geißeln.

    Jeder Blutgeborene trägt der Definition nach den Segen der Schöpfung in sich. Wenn man deinen Gedanken fortführt, dass aufgrund von genetischem Austausch unser Blut in den Adern der ganzen Welt kreist, würde es bedeuten, dass die Hegemonie auch die Verantwortung über diese tragen sollte? Früher hat man den bloßen Aufenthalt im Heiligen Land zur Feststellung des Blutgeborenenstatus' genutzt, was die Hegemonie von der globalen Verantwortung befreit hat. Mit der Definition per Abstammung stehen die Dinge nun komplizierter.

    R O L L E N S P I E L:

    Der Gedanke, genau so wenig wert sein zu sollen wie irgendwelche Barbaren im Ausland, behagt ihm ganz und gar nicht. Danyal, der im elitären Bewusstsein aufgewachsen ist, als Blutgeborener zu den Besten der Besten zu gehören, sieht sich irritiert.

    Warum bezeichnest du die futunische Überlegenheit als Legende? Was bieten andere Länder, das hier nicht zehnmal besser ist? Und das, falls es doch besser sein sollte, von uns überhaupt gebraucht wird?

    R O L L E N S P I E L:

    Futuna ist für Danyal Dreh- und Angelpunkt der Welt und der Schöpfung, Maßstab der Zivilisation, unerreicht in seiner Erhabenheit und Würde. Hier kam die Schöpfung darnieder und nicht anderswo. Die Frage ist dennoch keine rhetorische, denn der Shaikh versteht zweifellos mehr von Politik als er. Vielleicht kann er tatsächlich ein Land nennen, in dem Milch und Honig fließen und an dem Futuna sich ein Beispiel nehmen sollte. Für Danyal ist allein der Gedanke momentan unbegreiflich.

    Oder sprichst du von einer Reformierung unseres eigenen Systems, ohne nach außen zu blicken? Ich finde, unser Rechtssystem, das sich aus unserer Abstammung von den Göttern legitimiert, durchaus sinnvoll. Selbst den Atheisten ist das Leben heilig und daraus ergibt sich alles andere, so dass es einer Verschriftlichung aller Eventualitäten nicht unbedingt bedarf. Zumindest kam Futuna bisher auch ohne diesen zusätzlichen Verwaltungsaufwand aus.

    R O L L E N S P I E L:

    Er ist etwas verstört, dass Faantir all die Dinge zerredet, die Danyal sein Leben lang als sinnvoll eingetrichtert wurden. Dass der Shaikh dabei einer durchaus schlüssigen Argumentation folgt, macht das Ganze nicht leichter verdaulich. Danyal bemüht sich, seine Ausführungen zu verstehen. Da er den Shaikh als intelligenten Menschen einschätzt, muss sich irgendwo ein Sinn finden lassen.

    Ich schließe daraus, dass dein Anliegen darin besteht, bürokratische Ordnung zu stiften? Unsicherheiten durch Verschriftlichung zu minimieren, Verlässlichkeit zu generieren und so die Transparenz und Effizienz des Staatsapparates zu fördern? Und die Geheimgesellschaften zu entwurzeln? Oder verstehe ich dich völlig falsch?

    Was wäre denn geschehen, hättest du keinen Hüter geschickt? Abgesehen davon, dass ich von berauschten Studenten in meiner Ruhe gestört wurde und irgendwer unbefugt Zugriff auf mein Datenpad nahm. Das Zeitfenster wäre ohne die Anwesenheit von Thar nicht wesentlich größer gewesen. Und warum sollte die Akademie überhaupt ein Interesse daran haben, den Geist oder die Seele eines wildfremden Parshans zu brechen? Perfiden Spieltrieb lasse ich als möglichen Grund bei einer ganzen Fraktion einmal außen vor.

    R O L L E N S P I E L:

    Als Wächter? Das ist eine ambitionierte Sicht. Danyal schmunzelt amüsiert.

    An mangelndem Selbstbewusstsein krankst du jedenfalls nicht.

    Die Geschichte der gesamten Welt basiert am Ende auf Fälschung und wer weiß, wie viele Leichen andere Länder im Keller haben, ohne davon zu sprechen. Die Hegemonie unterscheidet sich nur dahingehend, dass sie die Fälschung zur Kunst erhoben hat und an ihrer Vollendung arbeitet.

    Primitivere Kulturen hingegen versuchen, die ihnen gefällige Variante als tatsächliche Wahrheit zu verkaufen. Dabei genügt bloße Aufmerksamkeit, um ihre Fälschungen als solche zu entlarven. Bei jedem Regierungswechsel, und solche gibt es in den meisten Nationen regelmäßig, ändert sich die Geschichte. Was vorher Wahrheit war, wird durch angebliche neue Erkenntnisse zur Lüge erklärt. Einstige Helden werden zu Verbrechern, einstige Verbrecher zu Helden stilisiert.

    Das Schema findet sich überall auf der Welt und doch glauben die meisten Menschen außerhalb Futunas noch immer daran, dass ihre Regierungen es ehrlich mit ihnen meinen. Leider hilft jenen, welche die Lüge identifizieren, das nicht, um die Wahrheit dahinter erkennen zu können. Und falls doch, was sollen sie mit ihrer einsamen Wahrheit anfangen? Wem nützt sie? Oder ist sie nicht vielmehr schädlich?

    R O L L E N S P I E L:

    Sein Tonfall lässt durchklingen, dass er mit diesen Zuständen nicht ganz glücklich ist, auch wenn er sich bemüht, sie zu rationalisieren.

    Ich selbst bin im privaten Rahmen ein ehrlicher Mensch, ob sich das bewähren wird, muss die Zeit erweisen, aber leicht mache ich es mir damit nicht. Fairerweise muss man bei der Betrachtung des Vorwurfs der Lüge einräumen, dass auch bei gewissenhaften Bemühungen, eine objektive Wahrheit zu definieren, zwei Menschen durchaus zu drei Ergebnissen kommen können, da der menschliche Geist seine Subjektivität nie ganz abstreifen kann.

    Vielleicht ist die Mathematik die einzige widerspruchsfreie Disziplin, die je geschaffen wurde, die einzige tatsächliche objektive Wahrheit. Eine Sprache ohne Lügen, doch sie taugt nicht für die Verrichtung alltäglicher Kommunikation. Abgesehen davon bin ich furchtbar schlecht in Mathematik.

    R O L L E N S P I E L:

    So gesehen ist es freundlich vom Shaihk, Danyal nicht zu überrumpeln, sondern sich Zeit nehmen zu wollen.

    Auf die Einladung freue ich mich.

    R O L L E N S P I E L:

    Die winzige Liebkosung seines Unterarms entspannt ihn. Er blinzelt beinahe schläfrig, während er Faantir Gried betrachtet, gleichzeitig ist er innerlich aufgekratzt.

    Die Menschen sind nicht sehr logisch. Wenn sie dir und deinem Bruder eine mythische Macht zuschreiben, macht es keinen Unterschied, ob sie dir in einem öffentlichen Verkehrsmittel über den Weg laufen oder nicht. Es wird sie nicht retten, außer Sicht zu sein, wenn einer von euch sie ins Visier nehmen sollte. Ein Jäger schlägt zu, wenn die Beute nicht hinsieht.

    R O L L E N S P I E L:

    Danyal muss grinsen und fragt sich, ob er es vermasselt hat oder ob der Shaikh von vornherein nur fragte, um ihn genüsslich abblitzen lassen zu können. Oder ob Faantir Gried tatsächlich vorhat, die Erfahrung daheim in Alegon nachzuholen. Gerade eben hat es sich zumindest noch so angehört, als wolle er tatsächlich den Flug auf diese Weise verkürzen. Vielleicht hat er aber auch nur aus Neugier gefragt, um zu sehen, wie Danyal tickt.

    Ich weiß nicht, ob ich je darin geübt sein werde, schnell zwischendurch eine Gelegenheit zu erkennen und zu nutzen. Es wird seinen Grund haben, warum mir die Erfahrung bis jetzt mehr oder weniger fehlt. Aber das ist in Ordnung, vermutlich hat das auch irgendwelche Vorteile. Falls ich irgendwann mal wieder in Beziehung bin, muss mein Partner sich zumindest keine Sorgen machen, ich wäre zu blöd, ihn zu betrügen, selbst wenn ich das wollte.

    Kleidung schnell zu wechseln, ist nicht das Thema, das lernt man in der Grundausbildung. Zielwert sind 30 Sekunden.

    Mir gefällt an Eraain Nasil die Atmosphäre des Verfalls. Solche Orte haben eine besondere Ausstrahlung und laden zum Erkunden ein. Sicher spielt auch der Nervenkitzel mit hinein und die Idee, irgendetwas Interessantes zu finden, egal wie wertlos es sein mag. Saredash dort verhungert und mumifiziert aufzufinden, wäre in der Tat witzig. Eigentlich traurig, da sinnlose Vergeudung des Lebens von Blutgeborenen, aber doch, irgendwo auch witzig. Wenn man betroffen schaut, werden sie auch nicht wieder lebendig.

    Warum verlassen eigentlich die Leute das Flugzeug, wenn du einsteigst? Ein paar, von Vorbehalten geplagt, in Ordnung, aber alle? Und warum hast du keine Personenschützer bei dir, machst du dir keine Sorgen?

    Ich habe Alegon noch nie verlassen. Es gibt aber einige Orte, die ich gern mal besuchen möchte. Ich mag es interessant, drum würde ich mir gern das Bollwerk von Lathun mal ansehen und die Gruben von Eraain Nasil, die ja in Alegon liegen und mein erstes Ziel wären, würde ich eine Urlaubsreise machen wollen. Ein üblicher Erholungsurlaub würde mich vermutlich langweilen. Das Schrecklichste wäre, tatenlos an einem überlaufenen Strand herumzuliegen und zu warten, bis ich braun bin. Auf die Arbeit in Lehim bin ich gespannt, weil die Menschen und der Ort so anders sein sollen.

    R O L L E N S P I E L:

    Danyal hatte den Blick nicht wieder abgewandt.

    Ich wollte verhindern, dass du die Erwartungen zu hoch schraubst und ehrlich mit dir sein. Es gibt nichts, womit ich prahlen könnte. Die Option hört sich gut an, ich bräuchte nur wahrscheinlich ein bisschen Hilfe. Wenn dich das nicht abschreckt ... gern, Faantir.

    R O L L E N S P I E L:

    Er will gerade einwenden, dass er vom futunischen Maßstab ausgeht, dessen Durchschnitt naturgemäß in höheren Sphären schwebt, als der Shaikh das Thema für Danyal unvorhergesehen wechselt.

    Er wendet den Blick vom Fenster ab und betrachtet Faantir Grieds Gesicht. Danyal ist nicht unbedingt der Typ, um den sich die Leute reißen. So fragt er sich, wie der Shaikh nun auf die Idee kommt. Entsprechend fällt seine Antwort recht vorsichtig aus.

    Ich werde bald dreiundzwanzig, habe keine Kinder und bin ebenfalls ungebunden.

    R O L L E N S P I E L:

    Für manche ist der Beziehungsstatus gleichgültig, für ihn jedoch nicht. Er braucht nach dieser Überbrückung noch etwas länger, um sich seine Worte zurechtzulegen.

    Die Formulierung "Erfahrungen sammeln" würde es gut treffen. Von einem Parshan erhoffen sich die meisten im Bett anderes. Ich bin nicht völlig unerfahren, aber es ist kaum mehr als nichts, da es kurz darauf schon wieder in die Brüche ging.

    So ist es. Man spricht nicht umsonst vom Autismus-Spektrum. Es sind ja auch nicht alle Durschnittsblutgeborenen gleich, also auch nicht die Betroffenen irgendeiner Abweichung. Solche Kategorisierungen nützen für den Überblick, sie sind wie die Hilfslinien einer Zeichnung.

    R O L L E N S P I E L:

    Mit den Antworten zum Thema sozialer Betreuung ist er zufrieden. Er schaut aus dem Fenster, um zu schauen, ob es irgendetwas Interessantes zu sehen gibt. Bei einem Flug über das offene Meer rechnet er allerdings nicht damit.

    Hast du überhaupt Freizeit in deiner Position? Ich stelle mir das stressig vor. Falls doch - wie nutzt du die, wenn die Frage nicht zu persönlich ist?

    R O L L E N S P I E L:

    Es kann ja nicht jeder ein Langweiler wie Danyal sein, der nur Fachbücher und Sachtexte liest und zu Treffen und Veranstaltungen gedrängt, überredet und mitgeschleift werden muss, da er andernfalls außerdienstlich nicht vor die Tür gehen würde.

    R O L L E N S P I E L:

    Danyal nickt. Es ist ihm lieber, wenn Leute mit nicht therapierbaren Absonderlichkeiten unter sich bleiben, wo sie niemanden gefährden. Trotzdem wünscht er sich auch für diese Blutgeborenen, dass sie im Rahmen der Möglichkeiten menschenwürdig leben und ihren Beitrag leisten können. Niemand sucht es sich aus, so zu sein.

    Ah ja, die Autisten. Wie man liest, sind es angenehm logische Menschen. Manche ihrer Probleme kann ich gut nachvollziehen, andere zum Glück nicht, wie die Überempfindlichkeit der Sinne oder die vermurkste Grobmotorik. Wäre ungünstig für einen Parshan.

    R O L L E N S P I E L:

    Er kratzt sich den Bart, den er schon wieder deutlich spürt. Vielleicht sollte er das Rasieren einfach lassen.

    Wie werden nichtkriminelle Leute mit Beeinträchtigungen betreut, gibt es eine Absicherung oder obliegt das den Familien? Ich denke da nicht nur an psychische Störungen. Angenommen, ich verletze mich beim Einsatz so, dass ich nicht mehr als Parshan dienen kann, vielleicht sogar völlig erwerbsunfähig werde. So lange meine Eltern noch leben und gesund sind, mag das alles irgendwie gehen, aber danach hätte ich ein Problem.

    Wohin werden diese Personen denn nach Entledigung ihrer Triebe verbracht, oder ist das Verschlusssache? Erhalten sie die Möglichkeit zur Arbeit, damit sie in sicherer Entfernung ihren Teil zur Zivilisation beitragen können? Rehabilitation ist ja, wie du korrekt sagst, in solchen Fällen nicht möglich.

    Meine "Hobbypsychologie" ist genau das, sie hat nichts mit meiner Ausbildung zu tun. Wenn wir nur über die Dinge nachdenken dürften, in denen wir Sufis sind, wäre das ja traurig. Ein Freund aus Yanth ist kein Uhrmacher und auch kein Uhrenverkäufer, er ist Parshan und trotzdem kaut er mir regelmäßig zum Thema Uhren ein Ohr ab. Für einen Fachmann mag er wie ein Stümper erscheinen, vielleicht ist er das auch, doch für einen Laien weiß er genug, damit ihn alle Kameraden um Rat bitten, wenn sie eine Uhr kaufen wollen oder ihre nicht richtig funktioniert. Ich halte Laienwissen nicht für etwas Schlechtes, es bereichert den Alltag.

    Ob Narzissmus harmlos ist, hängt von der Ausprägung ab, aber das gilt wohl für jede Störung. Narzissten können sich meist gut präsentieren. Mich wundert insofern nicht, dass auch die Stiftung sie für nützlich hält. So ein schillernder Narzisst an geeigneter Stelle hinterlässt mehr Eindruck als ein Normalo, ob der Narzisst nun privat eine angenehme Person ist oder nicht.

    Was du zur Empathie sagst, stimmt mich nachdenklich. Wie würdest du es nennen, wenn jemand Menschen nicht intuitiv begreifen kann, aber trotzdem mehr oder weniger durchschnittlich fühlt?

    R O L L E N S P I E L:

    So ist es leider oft, denn eine Auswertung heißt auch, Fehler einzugestehen. Es liegt auf der Hand, dass man das nur auf Augenhöhe zu tun bevorzugt und nicht gegenüber rangniedrigeren Personen. Leider sorgt das auch für eine Mentalität, die Probleme nach außen hin negiert. Danyal neigt den Kopf nach links, dann nach rechts. Irgendwelche Verspannungen knacken leise.

    Ein interessantes Thema, aber auch kompliziert.

    R O L L E N S P I E L:

    In seinen Bemühungen, die Funktionsweise seiner Mitmenschen zu begreifen, liest Danyal viel zum Thema. Er beobachtet genau, vergleicht mit dem Gelesenen und versucht auf diesem Wege, zu verstehen, wofür ihm die Intuition fehlt.

    Es geht ja schon los damit, dass solche Auffälligkeiten einer hohen Komorbidität unterliegen. Die meisten Betroffenen haben ein ganzes Arsenal an Störungen vorzuweisen. Und was macht man mit denen, die trotz ihrer Störung funktional agieren? Ein intelligenter Psychopath beispielsweise muss kein Krimineller sein, sondern kann es weit bringen und einen Konzern optimieren, selbst wenn er kein netter Vorgesetzter sein wird.

    Was Soziopathen betrifft, sind die nicht immer so übel. Im Gegensatz zu Psychopathen sind sie nicht herzlos, auch wenn es den meisten von ihnen gefällt, wenn man das von ihnen annimmt. Sie haben nur eine besonders harte Kruste mit extra langen Stacheln, ähnlich wie die "Grenzgänger" mit ihrer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung.

    R O L L E N S P I E L:

    Etwas Sorge bereitet Danyal, dass das Fehlen von Empathie - etwas, dessen Danyal sich schuldig bekennen muss - scheinbar ebenfalls als gefährlich genug wahrgenommen wird, um Betroffene durch Assasinen entfernen zu lassen.

    Es ist ein komplexes Feld, für mich als Agent nicht nur privat von Interesse. Vielleicht muss ich irgendwann mal ein Profil erstellen, da ist es gut, sich mit solchen Themen auszukennen.

    R O L L E N S P I E L:

    Genau genommen ist es das, was er die ganze Zeit über tut, wenn er mit Menschen interagiert: Er analysiert und seziert ihre Psyche, womit er sich von einem Psychopathen auf Beutezug kaum unterscheidet, auch wenn er weiß, dass er keiner ist, denn Danyal ist zu Liebe fähig, zu Kameradschaft und er weiß, was ein Gewissen ist. Seine Analyse zielt nicht auf Manipulation, sondern auf Begreifen.

    Die Maske, die der Shaikh trägt, wurmt ihn, weil sie seinen Versuch, dem Mann nicht nur zuzuhören, sondern ihn tatsächlich zu verstehen, unterminiert.

    Mich würde in dem Zusammenhang interessieren, ob das Wissen um eine solche Störung das Schicksal des Betroffenen in der Hegemonie leichter macht - oder ob im Gegenteil im Sinne der Prävention eine entsprechende Diagnose auch ohne kriminelle Verfehlung bereits Todesurteil sein kann? Wenn ja, dann tritt die Stiftung hier als Lebensretter auf, wenn sie solche Blutgeborenen unter ihre Fittiche nimmt. Dann ist das Anliegen der Stiftung ein geheiligtes.

    Wird man davon erfahren im Sinne des, äh, Qualitätsmanagements, wenn man im Fall eines unbeabsichtigten Massakers dieses Wort bemühen möchte, oder gehört das zu den Sachen, die eher unten gehalten werden sollen? Eine Auswertung wäre zumindest aus einsatztaktischer Sicht interessant.

    Du meinst, die Stiftung Persuna ist eine gleichwertige Alternative zur Zwangsarbeit? Oder bietet die Stiftung eine Alternative für die Zeit danach? Wie lange muss Zwangsarbeit denn im Schnitt so abgegolten werden?