Beiträge von Lehim

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    Der Blütenwein ist vergärt. Irgendwo im Herstellungsprozess ging etwas gewaltig schief und so kann dieses süffige Getränk nicht weiter ausgegeben werden. So behilft man sich mit Schnaps, Bier und was sonst noch an Unsagbaren die Kehle hinabfließt. Aber eigentlich wäre jetzt genau die richtige Zeit für Blütenwein.

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    In der schiefen Krabbe hängt der Haussegen schief. Das ist das Ergebnis des Sturmes in der letzten Nacht. Der Haussegen ist wie immer im Gastraum angebracht, dort wo normalerweise jeder Gläubige mit Getränk und Speis dem huldigen kann. Nur hat jemand ein kleines Fenster offen stehen lassen, so dass selbst der sonst fest angebrachte Segen schließlich verrutschte. Dazu kommen die vielen kleinen Blätter und Aststücke in den Schankräumen. Ein Chaos also, das beseitigt werden muss.

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    Der Filmabend bildet auf einer Leinwand den neuen Film von Madarash Abar ab. Darin geht es um eine junge Frau auf der Suche nach der Wahrheit über ihren verschwundenen Geliebten, doch es finden sich immer nur neue Geschichten, die stetig verwirren. Am Ende ist sie völlig verwirrt bevor sich aufklärt, dass es sich um die tragische Variante eines Rätselspiels handelte, bei dem er all diese Geschichten aufstellte nur um in der letzten Vorstellung durch einen Infarkt im Krankenhaus zu landen ohne dass ihn dort jemand kennen würde. Am Ende finden sie sich wieder, doch sie haben sich entliebt und jeder lässt den anderen los um allein in die Zukunft aufzubrechen.

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    Es hält der Altagsfrust Einzug, nachdem die neueste Schnapsidee - in dem Fall wirklich bei reichlich Alkoholkonsum entworfen - einer Stripparty in die Hose ging. Erstens machen das die Tempel ja sowieso schon und zweitens ist das im Zusammenhang mit Alkohol wohl kaum sicher oder auf Konsens achtend. Dazu kommt die Beschränkung auf die Stammgastschaft, von denen die meisten gut und gerne auf engeren Körperkontakt verzichten kann, denn gute Freundschaften sind nur in den wenigsten Fällen durch Intimitäten dieser Art gut zu vertiefen. Die Veranstalter, zwei Jungs aus der Nachbarschaft, wurden dann kurzer Hand von willigen Damen weggetragen, um anderswo ihren Frust bekämpfen zu können. Zum Beispiel beim kühlenden Bad im Meer.

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    Von der Hauptinsel kommen die Geologen zu Besuch. Und natürlich gibt es unter den "Wissenschaftlern" auch reichlich Alkoholexperten. Schon nach kurzer Zeit studieren die ersten die Beschaffenheit der Bodenplatten und manch einer auch die Kacheln der Sanitäranlagen. Es werden allerdings auch Proben verlegt, die sowieso nur in Archiven verstaubt wären, denn alles lässt sich nicht ausstellen, was nun aus dem Vulkanstein gezogen wurde. Ein stattlicher Brocken endet gar als Begrenzungsstein im Garten und als Hindernis für wankende Schnapskenner. Nicht lange nach seiner Einweihung findet er auch sein erstes Opfer, das unter Fluchen aufsteht und davonnen stolpert.

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    Beim Kokosmilchwetttrinken gab es die übliche Menge an Magenverstimmungen und auch das obligatorische Geschwür. Der ungesunde Zeitvertreib zieht dennoch immer mehr Verrückte an, so dass an Tätern wie Opfern kein Mangel besteht. Die Stammgäste diskutieren anschließend in Lände, Breite und Tiefe über die besten Kokospalmen. Die Wirtsfamilie kann darüber nur grinsen, ist doch jeder Tisch auf anderem Palmenholz gefertigt. Auch wenn es da einige Unterschiede gibt, sind doch alle Tische stabil und gut erhalten. Die Palmen sind daher allesamt gut.

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    Die Wahl einer neuen Versammlung hat einige Debatten auch unter den Stammgästen ausgelöst. Letztendlich wird man recht wenig am Kurs ändern. Lehim wird weiterhin recht autonom sein, aber wohl den Rest von Jiklà so weit wie möglich integrieren, nachdem der Großteil der Siedler ins Kernreich abgewandert ist. Die verbliebene Insel sollte möglichst militärfrei bleiben, aber im Notfall kann man sich durch das Zugeständnis Vorteile sichern. Es wird weiterhin viel Tourismus und entsprechende Infrastruktur geben. Vielleicht wird man mehr in die Forschung investieren, so die Mittel denn dafür ausreichen.

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    Irgendwelche Mitglieder einer angeblichen Expedition sind durch Zufall auf die Kneipe gestoßen und belästigen die Gäste. Warum auch immer sie nicht einfach verschwinden können, wenn sie nicht erwünscht sind. Das hier ist nicht der Süden Lehims, wo ihre angebliche Expedition stattzufinden hat. Also mischt der Wirt die speziellen Speisen und Getränke, welche er immer ausschenkt, wenn es darum geht, unliebsame Gäste loszuwerden. Die spezielle Flossensuppe mit der Tran- und Wurzelfüllung ist nur was für Perverse und der Schnaps aus Hanuwurzeln und Melonenzucker schlägt erst aufs Denkvermögen und dann aufs Gemüt.

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    An diesem Tag gibt die Band "Taffiyaarya" ihre kostenlose Probe im großen Gastraum. Die meisten Stammgäste sind daher schon früh mit Mitnahmeessen und Getränken geflohen und nur die "stolzen" Eltern und ein paar Freunde verblieben, um unter den dissonanten Klängen zu leiden. Auch wenn die Stimmen der beiden Sänger gut und kraftvoll sein mögen, so ist doch die Mischung aus Hymnen und Rap eine Zumutung für Gehirn und Gehör der Zuschauer, vor allem durch die Untermalung mit Oboe, Posaune, Elektrogitarre, Simbel und Harfe. Man kann fast vermuten, das "Klangwunder" wäre nach einer durchzechten Nacht im den Kater bekämpfenden Drogenrausch entstanden, während man sich von kosmischen Sphärenklängen hat beschallen lassen. Im Kernreich jedenfalls würde eine solche Darbietung als Waffentest gelten.

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    Es ist das Fest der blauen Kerze, so benannt nach den seltsamen chemischen Kerzen, die dereinst in Ashar erfunden wurden und welche blau in der Dunkelheit brennen. Nun ist der Gastraum in diesem dunstigen Blau erhellt und die Gäste taumeln ein wenig orientierungslos und schon leicht angetrunken herum. Grundsätzlich ist das Fest nurmehr ärgerliche Tradition und führt zu Sauereien durch orientierungslose Trinker und Raufbolde. Aber man muss eben auch seine eigene Kultur pflegen, egal wie hirnrissig oder sinnlos einem manche Riten erscheinen, solange sie nicht schaden, sind die okay.

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    Selten geschah es, dass mal ein Gast zum Gehen aufgefordert werden musste, aber auch dies blieb nicht aus, egal wie gelassen die Gesellschaft in Lehim auch sein mochte. Irgendwann fand jeder Mensch mal seine Grenzen und manchmal eben auch in Gesellschaft anderer an öffentlichen Orten, wo das dann für fast alle Beteiligten peinlich wurde. Oder hinterher als peinlich erschien. Barka Karsa war hart im Nehmen und Trinken, seit dreißig Jahren Hochseefischer, Hobbytaucher und - das war der Anlass - begeisterter Papageienfan. Und vorgestern war sein Lieblingspapagei spontan gestorben, scheinbar an einem Herzinfarkt. Und so vermied er jede Mäßigung und Warnzeichen und trank sich bis zur deprimierenden Sauferlaune, bei der er nicht nur sich selbst besuhlte, sondern auch seine sonst so reservierte und zurückhaltende Art überwand, um sich in ein sentimentales und mittelungsbedürftiges Wrack zu verwandeln, bis man ihn schließlich niederrang und aus der Kneipe trug, um ihn dann auszunüchtern, bevor man ihn Frau und Kindern daheim antun konnte.

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    Der prasselnde Regen gab der Ausstellung von Bildern in den Gasträumen die passende Untermalung. Eilbroon Eliyani war vor drei Tagen verstorben und seinem Willen nach sollte seine Sammlung an Bildern hier an die Gäste verschenkt werden. Also wurden alle präsentiert und jeder vermochte sich eines mitzunehmen. Die meisten davon waren von einheimischen Laien gemalt worden und nicht alle hatten wirklich das große Talent gefunden. Doch alle hatten sie ihr Herz in die Bilder gegossen und waren entsprechend ansehnlich. Die meisten waren Alltagseindrücke Ashars oder Lehims allgemein. Plätze voller Leben, Ecken mit kleinen Details und Besonderheiten, Feste, an die sich außer den Eingeweihten niemand erinnern würde. Einige Bilder zeigten auch einfach nur den Horizont über dem Meer oder den Beginn eines Sturms. Das zentrale und besondere Stück jedoch zeigte eine Frau in einer schlichten grauen Robe auf einem Felsen inmitten einer Wiese von Orchideen, die zum Teil durch den Wind ihrer Blüten beraubt wurden, welche im Bild dann davonflogen. Die Gäste waren vor allem still und staunend und es wurden auch kaum Bilder mitgenommen, zu nah noch war der Abschluss vom verstorbenen Freund, auch wenn man sein Leben feiern wollte.

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    An manchen Tagen lohnte es sich nicht, die Gaststätte zu öffnen, wenn auch aus anderen Gründen als man denken mochte. So auch heute, wo wieder ein touristisches Großereignis stattfand, bei welchem die Gäste zu Hunderten durch die Altstadt strömten. Man möchte nun meinen, dass dies besonders für Gastronomen gerade die Zeit schlechthin wäre, aber "Die schiefe Krabbe" verstand sich ausdrücklich als einheimisches Stammlokal und da war der Erhalt der Stammgäste und der Szene wichtiger als eine Konzentration auf Touristen. Auch wurde hier für die Interessen und Bedürfnisse der Gäste individuell gekocht und so gab es keine besonders gut gestaltete Speisekarte. In der Regel nahm man die aktuellen Wünsche der Besuchenden auf - natürlich unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel. Aber so war es eben Koch, Gästen und Personal am liebsten. Also nahmen alle die Auszeit für persönliche Dinge in Anspruch.

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    Einer der Vorteile lehimischer Abgelegenheit war die fehlende Berührung mit dem Rest der Hegemonie und der relativen Überflüssigkeit futunischer Fraktionen im Staatsbetrieb. Allerdings gab es dabei auch wesentliche Nachteile, vor allem weil Lehim sich im futunischen Wirtschafts- und Währungssystem befand, welches eben vor allem auf Futuna und seine Fraktionen zugeschnitten war. Dies zeigte sich bei der Zulieferung von Produkten, welche in Lehim selbst nicht hergestellt werden konnten und nicht durch den Freihafen in Ashar beschaffbar waren. Sobald man etwa Gewürze oder andere Produkte aus dem Kernreich anschaffen wollte, prallte das futunische Fraktionssystem mit seinen Megakonzernen auf den syndikalistisch-kooperativen Mix Lehims und sorgte für entweder Geld- oder Zeitverschwendung und manchmal gar für beides auf einmal. Besonders wenn es um Safran ging, also dem teuersten Gewürz der Welt, in der Norm nur im banabischen Hochland angebaut, war das eine leidige, aber oft unvermeidbare Angelegenheit.

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    An diesem sonnigen und ruhigen Tag passierte eigentlich gar nichts. Das war natürlich nicht ganz richtig. Natürlich kamen Gäste, wurden Getränke und Speisen verkauft, die Tische gewischt, der Boden gefegt, spielte jemand etwas Musik und die Nachbarskatze blinzelte ein paar zu aufgeregte Kinder an und der Tukan auf dem Baum gegenüber des Hofes verschlief wieder alles. Aber es gab keine besonderen Ereignisse und nichts, woran man sich groß erinnern mag. Aber das Leben ging eben seinen Gang.

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    Ausnahmsweise wird an der Bar einmal über politische Themen gesprochen, doch wie es in Lehim üblich ist, hat das Ganze weniger Ernst und Gewicht als anderswo. In der politischen Debatte geht es vielmehr um die Gestaltung eines musikalischen Eröffnungswerkes für den touristischen Betrieb, wonach die Touristen und andere Opfer durch edles Klangwerk an Häfen und Flughäfen eingestimmt werden soll. Der Knackpunkt liegt in der Frage, ob die alegonische Abkunft oder eher die orceanische Verortung betont werden solle. Beides hat etwas für sich, doch nach einem Kombitest musste der Großteil der Delegierten den Saal verlassen und die Zuschauer abschalten, so grausam war der gemischte Klang. Also kommt nur eine von beiden Varianten in Frage.

    R O L L E N S P I E L:

    Unter dem Sternenhimmel kommt es zu einer Aufführung einer lokalen Heavy Metal Band. Die meisten Anwohner sind daher in den letzten Tag zu Verwandten und Freunden geflohen. Das dumpfe Wummern der Lautsprecher lässt auch die gut gebauten Mauern des Wirtshauses manchmal knackend erbeben, doch noch steht alles fest und sicher, auch wenn auch am dritten Tag - oder besser der dritten Nacht - keine Pause und kein Erbarmen der jungen Musiker zu erwarten ist. Aber das freut vor allem das Publikum und den mittlerweile abgestumpften Kellner, der von einer Bestellung zur nächsten eilt. Dafür sind auch alle Vögel längst geflohen - und die Ratten haben schon vorher das Weite gesucht.

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    An diesem Tag, dem Tag der dreizehn Palmen, geht es um die schrullige einheimische Feier der dreizehn verschiedenen Palmenarten Lehims. Es wäre an sich eine kurzweilige Angelegenheit, wenn nicht vier der Arten im letzten Jahrhundert ausgestorben wären und eine weitere dabei ist, die Welt für immer zu verlassen. Allerdings lässt sich der Befall der besagten Schattenlaubpalme nicht beheben ohne weitere Pflanzenwelt nachhaltig und wahrscheinlich auch mit unumkehrbaren Konsequenzen zu schädigen. Also geben sich die Baumliebhaber in der Kneipe reihenweise die Kante, so als ob Leberschaden den Baumschwund ausgleichen könnte. Aber zumindest brummt der Geschäft mit der Misere.

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    An diesem vergleichsweise lauen Tag gab es den erwarteten Ansturm zur Rumverkostung. Für einige Stunden war das Gasthaus gerammelt voll und selbst auf der Straße war kaum mehr Durchkommen, während die Konsumenten nach dem neuesten Trunk hechelten. Schließlich hatte ein windiger Vorfahr dereinst ausgehandelt, dass die meisten Hersteller eins hier ihre Produkte präsentieren sollten und so war heute und in der folgenden Woche mit Hunderten oder gar Tausenden von Besuchern zu rechnen, welche in den drei Gasträumen und im Garten kaum Platz fanden. Selbst die Stammgäste mussten daher forcierte Rotation über sich ergehen lassen, damit Leberschäden und Beeinträchtigungen der Gehirnfähigkeit die breite Masse der Bevölkerung trafen.

    R O L L E N S P I E L:

    Nach einer kleinen Erkältung des Wirtes wurde zwangsmäßig Ruhetag eingelegt, wonach dessen Neffen den Raum fegten, alles durchlüfteten, drei Stühle und eine Bank austauschten und dann auf den Dielen durch das Fenster dem Nachmittagsregen zusahen. Später würde ihre Kusine zurückkommen, die mit ihrem tumben Bruder, einem Berg von Mann und ebenso stumpfsinnig, neue Kissen und Decken erstanden hatte. Das Fallen des Regens hatte jedoch eine tiefere Ruhe in ihnen ausgelöst, so dass die beiden jungen Männer völlig gemächlich den hektischen Anweisungen ihrer Verwandten nachkamen und sich nicht um das stiere Glotzen des Cousins kümmerten, egal wie sehr er einem Minotaurus ohne Hörner ähneln mochte.