Was heißt behelligen? Ich habe aus Interesse gefragt. Ein spukendes Dreibein ist schon ungewöhnlich.
Ohne auf die Bemerkung zur Bank einzugehen, strebt er nun auf den besagten Zug zu, wobei er schaut, ob die Anzeige auf das korrekte Ziel hindeutet.
Der Bahnhof ist ja ziemlich hübsch! Suchen wir uns eine saubere Bank. Das spukende Dreibein ist also ein Ort. Ich habe mir darunter ein wildgewordenes Sitzmöbel vorgestellt. Aber wie kommst du darauf, dass dieses mysteriöse Dreibein dir bei deiner Suche nach innerer Weisheit helfen kann? Weißt du überhaupt, wonach genau du suchst? Vielleicht ist es ein Felsen mit entfernter Ähnlichkeit zu einem dreibeinigen Hocker oder ein Baum mit drei markanten Hauptwurzeln. Oder ein Urzeitgeschöpf, das in hundert Meter Tiefe in seinem steinernen Bett ruht.
Was gibt es da zu verschleiern? Du suchst auch das spukende Dreibein, die hohle Spindel und den Frosch von Ikura, was bedeutet, dass du entweder mit geistiger Umnachtung gesegnet bist oder meinen Humor in Sachen Verschleierung teilst. In beiden Fällen kann eine Nachkontrolle deiner Aussagen nicht schaden. Und die Vanille aus Tarawa ist die Beste! Die aus Hatha schmeckt im Vergleich doch etwas fad und die aus Vashir besitzt einen Nachgeschmack, der nicht meine Sache ist. Welche bevorzugst du?
Ich hoffe, wir sind hier richtig, sonst fährt unsere ganze Quasi-Perfektion geballt ins lodische Nirgendwo.
Er schaut im Gehen nach einer Hinweistafel oder ob das Ziel der Züge angezeigt wird.
Was das Flüstern von Hashnak und so weiter angeht, weiß der Großwesir vielleicht einfach nicht, nach welchen Personen er suchen soll. Bei der Delegation hier aber ist ihm das mit Sicherheit bekannt. Sonst wären die Leute ja nicht hier.
Du willst also nicht über dich reden, gut, deine Entscheidung! Dann werden wir uns während der Fahrt ganz unverfänglich über Vanilleschnecken oder dergleichen unterhalten.
Tiam lacht.
Ich bin wunderbar, ein herrlicher Mensch! Ich verstehe gar nicht, warum das nicht alle so sehen. Ich kratze an der Perfektion und das ist nicht übertrieben, für einen Blutgeborenen allerdings auch nicht sonderlich schwer. Nur versteht das niemand und außer deinem Wächter des Waldes scheint keiner von der Delegation auch nur einen Anflug von Humor zu besitzen. Das ist ein bisschen nervig.
Vor dem Großwesir wegzurennen ist übrigens vollkommen sinnlos, nur, dass du es weißt. Der findet einen überall, wenn er will.
Was sind eigentlich diese sieben Schluchten?
Im Gehen hält Tiam Ausschau nach Hinweisschildern, weil er keine Ahnung hat, wo der Bahnhof liegt.
Ich versuche mich zur Abwechslung mal in Selbstreflexion. Seide hab ich keine, Edelsteine auch nicht, und meine Ehrengarde bezichtigt mich vor aller Augen und Ohren unziemlicher Triebhaftigkeit, nur weil mir eine Massage so gut gefallen hat, dass ich gern eine Wiederholung gehabt hätte. Die Loden werden mich überhaupt nicht für voll nehmen, wenn mich schon die eigenen Leute sabotieren. Ich sollte daran arbeiten, sonst wird Jaavid Gried schlecht gelaunt und bekommt wegen mir Falten.
Er überlegt.
Andererseits nehmen die Loden mich sowieso nicht für voll - schließlich genieße ich nicht mal diplomatische Immunität! Für sie bin ich vermutlich wirklich eine Art Urlauber. Da wären Seide und Edelsteine reine Verschwendung. Warum rennt meine Ehrengarde eigentlich so?
Tiam grinst und tippt sich an die Schläfe, dann macht er auf dem Absatz kehrt , um den anderen zu folgen.
Der Zug scheint ja ziemlich bald zu kommen
, witzelt er, während er neben dem Alten geht.
Bin ich wirklich so schrecklich, wie der Großwesir und die Olle vom Wesirat für Kultur es dargestellt haben?
Tiam bleibt verwundert stehen und beobachtet, ob sie auf seine fünf Begleiter reagieren oder ob sich hinter deren Rücken etwas Gruseliges abspielt. Er selbst wird wohl kaum der Grund für das Gerenne sein.
Sein Blick geht an seinen zwei verbliebenen "Verlobten" vorbei, als wären sie nicht existent. Er ist schon etwas traurig, dass er den Zweien nun kein zärtliches Sprüchlein präsentieren kann, weil ihr gemeinsames Spiel ein so ernüchterndes Ende durch das Wort des Großwesirs gefunden hat. Wobei er sich schon fragt, warum man für das planmäßige Verströmen von Langweile ausgerechnet ihn ausgewählt hat und keinen anderen Agenten.
Danke, Großwesir! Na, mal schauen!
Er blinzelt freundlich, nicht in der Lage, zu erkennen, weshalb man mit ihm unzufrieden ist. Seine Antwort war zwar keine rhetorische Meisterleistung, doch er ist eben vor allem im schriftlichen Bereich bewandert. Sein Lächeln erlischt, als er bemerkt, wie alle flüchten.
Scheinbar kommt der Zug gleich! Ich muss los! Mögen die Götter mit dir sein!
Er rafft sein Gepäck und stürmt den anderen hinterher, innerlich jammernd, weil er seine Krokodillederstiefel und die selbstgestrickten Ringelsocken auf Thandara zurücklassen muss.
Leider verfügt Tiam über so gut wie kein Schamgefühl, so dass solche Worte selbst vor versammelter Mannschaft in emotionaler Hinsicht vollkommen von ihm abperlen. Das heißt jedoch nicht, dass er sich keine Sorgen um seinen Auftrag machen würde.
Tut mir leid, Großwesir! Ich mach's nie wieder. Mich interessieren die Leute nicht die Bohne, mir war nur langweilig.
Und untervögelt ist er auch, doch ihm ist herzlich egal, wen er dafür in die Krallen bekommt, so lange er dabei nicht vor Langeweile einschläft. Er ist einigermaßen erstaunt, wie ernst ausgerechnet Blutgeborene sein affektiertes Gehabe nehmen. Er beschließt, sich zurückzuhalten und blickt seriös.
Wenn er nichts übersehen hat, so hat gerade mal einer der Übersetzer ihm einen Korb verpasst, womit noch zwei übrig bleiben, weshalb er die ganze Aufregung nicht versteht. Er ist schließlich kein Sittenstrolch, lediglich etwas anstrengend.
Tiam grinst vor lauter Schadenfreude dermaßen breit, dass er seinem Künstlernamen "Schakal" nun auch visuell alle Ehre macht. Er scheint eine Handbreit zu wachsen. Natürlich ist er aufgeregt ohne Ende, doch er ist jemand, der unter Adrenalin erst richtig aufblüht. Er positioniert sich strategisch geschickt schräg im Windschatten des Großwesirs.
Das würde mich auch interessieren! Diese Frau da ist Schuld!
Mit dem Finger weist er ungeniert auf die Gesandte des Wesirats für Kultur. Er will sie leiden sehen.
Sie hat mich meiner Freiheit beraubt, mich bedroht und dazu genötigt, Aussagen zu tätigen. Weiterhin hat sie in meinem Privatleben herumgeschnüffelt und vertrauliche Inhalte vor der versammelten Delegation breitgetratscht, um meine Reputation zu zerstören! Dabei hat sie den zarten Keim einer sich anbahnenden Romanze in mindestens einem von drei Fällen rücksichtslos zertreten. Nicht zuletzt hat sie sich mir gegenüber grober Unhöflichkeit schuldig gemacht. Vor allen Dingen wurde meine gesamte Mission ohne mein Wissen und ohne die Gelegenheit zum Intervenieren einfach umgekrempelt!
Hoffentlich ruiniert der Großwesir sie jetzt und vernichtet ihre berufliche Existenz! Was die Phönixprinzen betrifft, so hält Tiam jedoch lieber die Klappe. Die sind eine andere Hausnummer als dieses menschliche Werkzeug, das ihm wie ein Fleischerhaken im Leibe steckt. Sich mit den al-banabis herumzuschlagen, überlässt er besser dem Großwesir.
Und was den Alten betrifft, so wird Tiam aus diesem nicht schlau genug, um sinnvoll etwas beizusteuern. Allerdings fragt er sich, was es mit den "sieben Schluchten" auf sich hat.
Schön, dass nun alle über meine Vorlieben im Bilde sind und dazu ihre Meinung abgesondert haben. Dann eben keine Massage für niemanden. Wird es halt eine langweilige Wanderung. Können wir jetzt aufbrechen?
Tiam hebt die Brauen, wodurch sie zwei perfekte rote Halbmonde bilden, auf die manche Frau sicher neidisch wäre. Die Frau beachtet er gar nicht mehr, sondern widmet sich dem Übersetzer, der nicht als Masseur bezeichnet werden will.
Warum hältst du mich für ein Arschloch, das Leute ausnutzt? Ich bin total nett. Eigentlich wollte ich euch dreien zum Dank meinerseits eine Massage anbieten. Ich kann das zwar nicht so professionell, aber massiere dafür mit viel Liebe.
Also sind es ja doch auch Masseure! Und was für welche. Was faselst du bloß für einen Unsinn zusammen? Ich werde mich dann selbst mit den drei Herren unterhalten. Dich auszuziehen stelle ich mir so spannend vor wie das Öffnen eines Aktenschranks, so dass ich mir die Zeit während dieses inhaltlich dünnen Gespräch nicht gerade effektiv versüßen kann. Es ist schon paradox, dass das Wesirat für Kultur ausgerechnet von so einer spröden Schlaftablette vertreten wird.
Er stellt sich vor, wie die Frau und Danyal zum Abendessen an einem Tisch mit Kunststoffplatte sitzen und sich gegenseitig anschweigen. Um sie herum eine charakterlose Einbauküche, am Fenster ist eine Jalousie. Die Stille wird nur von dem Ticken einer Uhr aus Yanth, dem Klimpern des Bestecks und gelegentlichen Einzeilern unterbrochen. Dann verblasst die Frau und Danyal sitzt allein - die Realität.
Tiam fragt sich, ob Mitleid mit der Frau angebracht wäre, verwirft den Gedanken aber. Im Gegensatz zu Danyal ist diese Person eine eklige Kackbratze.
Die freien Plätze lassen wir jedenfalls einfach frei, das spart Nerven, Proviant und Atemluft. Können wir dann aufbrechen?
Du meinst, ein Dolmetscher kann nicht übersetzen und ein Übersetzer kann nicht Dolmetschen? Ich denke, dass sollten sie jeweils hinkriegen. Natürlich will ich die nicht hierlassen, sondern mitnehmen! Aber ich wusste nicht, dass diese drei Muskelprotze überhaupt Übersetzer sind! Ich dachte, das wären die drei maskierten Herren, mit denen ich so viel Freude gehabt habe.
Ja, dann schlage ich vor, die Originalmasseure an der Stelle einzusetzen, für die du irgendwelche Putzfrauen vorgeschlagen hast. Niemand braucht Putzfrauen in der Wildnis. Bei Masseuren sieht das anders aus, die kann man immer gebrauchen.
Hilflos betrachtet er das Gekrümel und Geriesel in seinen Fingern.
Dafür, dass du so gekränkt auf freie Meinungsäußerungen reagierst, bist du selbst ziemlich grob in deiner Wortwahl. Masseure würden mehr Sinn machen als einheimische Putzfrauen. Aber ich habe eine Idee: Wir nehmen die drei Masseure anstelle der drei Übersetzer mit!
Tiam kann ihr vorerst nicht antworten, nicht mal weiter diskutieren. Er ist damit beschäftigt, die Namen und Funktionen in rasendem Tempo mehrmals rauf und runter zu lesen, in dem verzweifelten Versuch, sie sich einzuprägen, bevor sie zu Staub zerfallen. Fast panisch ruft er:
Hier stehen keine Masseure drauf...!
Und einen Namen hat der Wächter nicht? Oder die Masseure?
Das war keine Beleidigung, sondern meine frei geäußerte Meinung, die mich erst zu einem Futunen macht. Ich habe niemandem etwas getan, außer die letzte Strophe vom Banaba-Lied falsch beziehungsweise richtig zu singen. Ich bin ein Musterbürger, übertrete nie ein Gesetz, es sei denn, schlechte Kochkünste gelten neuerdings als Verbrechen.
Meine private Sammlung ist außerdem nicht abartig! Sie macht die Hegemonie nicht zu einem schlechteren Ort, sondern gammelt harmlos auf meinen diversen Datenspeichern, bis ich das nächste Mal geruhe, sie zu konsumieren. Niemand nimmt dadurch Schaden, aber mindestens ein Blutgeborener ist dank der Arbeit dieser Leute glücklicher.
Alternativ könnt ihr mir ja einen geeigneten Spielpartner vermitteln, dann muss ich nicht auf die abgespeckte Variante zurückgreifen, und diese Leute freuen sich garantiert auch über ein wenig Abwechslung. Vielleicht sind das auch nur 3D-Animationen, das kann heute eh keiner mehr unterscheiden.
Bist DU auf den Kopf gefallen? Meine Güte! Was nützt es mir, wenn ich sie sehe? Ich wollte wissen, wie die heißen und was sie können, welche Funktionen sie gegebenenfalls haben! Zum Beispiel er da.
Er zeigt auf den muskulösen Mann, der neben dem Alten steht. Kein Wunder, dass er Tiam nicht ins Schlafzimmer begleiten wollte - er war scheinbar gar nicht dabei, als Tiam sich mit den drei Masseuren vergnügt hat!
Fast hätte ich den Falschen geheiratet! Aber die drei Masseure sind wirklich gut, sie lassen einen entweder vor Verzückung quieken oder sofort einschlafen. Und er scheinbar auch, nur nicht mich.
Also werde ich mit drei Masseuren und einem Sufi des Geisterkults dort ausgesetzt.
Trotz der verzweifelten Situation muss Tiam bei dieser Aufzählung kichern, aber bei ihm heißt das keineswegs zwingend, dass er fröhlich ist. Es klingt auch nicht sonderlich glücklich.
Immerhin ist Adabi Khatii lustig, mit ihm wird es nicht langweilig, und die Masseure sind eindrucksvoll genug, um uns unliebsames Pack vom Hals zu halten oder notfalls in den Schlaf zu massieren. Wer begleitet mich noch?
