Die schiefe Krabbe

  • R O L L E N S P I E L:

    "Die schiefe Krabbe", eine Karawanserei in Ashar, war wie immer leidlich besucht. Die von Hitze, Salz und Wind angegriffene Bausubstanz hatte den Großteil ihres Charmes verloren und bot allgemein kaum mehr die gute Küche von vor noch einer Generation. Die drei Haupträume waren gerade einmal mit vier Gruppen, davon zwei älteren Ehepaaren und einer Handwerkersammlung, belegt. Das Debut des neuen Kochs konnte also nicht unter schlechteren Vorzeichen stehen, denn Stammgäste wie Handwerker bevorzugten die übliche Kost ohne viel Finesse und nicht eine aufsehenerregende Komposition. So sehr die lieben Verwandten jenseits des Meeres ihre Einzigartigkeit betonen wollten, hier in Lehim wusste man: Menschen sind im Grunde recht ähnlich. Nahrung, Schlafen, Arbeit, Freizeit, Sex. Viel mehr trieb sie nicht um. Was scherte es den knurrenden Magen welche gesellschaftliche Banalitäten philosophische Träumer in drogeninduzierten Fieberwahnen entwarfen. So vermochte sich nur ein einzelner Gast dazu durchzuringen, die Suppe ausdrücklich zu loben.

  • R O L L E N S P I E L:

    Vanesh saß ungern in Gebäuden herum. Er brauchte den offenen Himmel, das Gefühl von Wind, Sonne oder Regen im Gesicht und Haar. Und er mochte auch keine Städte, zu laut, zu groß, zu stinkend und viel zuviel Beton und viel zu wenig Erde. Aber das Treffen ließ sich nicht vermeiden und so war er hierher gereist, um das Angebot zu hören. Es gefiel ihm genau so wenig wie die ganze Situation. Aber es gab nichts Besseres für ihn. Also blieb ihm wohl nur, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Das trübte seine Stimmung immens, so dass nicht einmal die seltene nebelgraue Schwalbe, die fast ausgestorben war, ihn mit ihrem Anblick erfreuen konnte. Dabei mochte er Vögel sehr, vor allem weil sie auf dem Stein und Dreck der Städte ihre eigenen Spuren hinterließen und so die dekadenten Städter daran erinnerten, dass all ihre Künstlichkeit sie nicht vor der Natur schützen konnte.

  • R O L L E N S P I E L:

    Utane war für einen Moment lang absolut glücklich. Die Hitze de Tages ging in das Rauschen des Regens über und wurde gelindert. Ein angenehmer Geruch von gebackenen Brot zog durch den Raum. Die Gespräche ergaben nur ein hintergründiges Murmeln. Selbst der Straßenlärm, sowieso schon so fern hier am Rande der Stadt, war nicht mehr zu hören. Der warme Schein der Lampe warf Konturen und Kontraste auf die Oberflächen, welche irgendwie angenehm dem Auge schmeichelten. Utane war im Gleichgewicht, ohne Schmerz, Sorge oder Not. Und dann war der Augenblick vorbei. Aber Utane würde ihn wiederfinden. Ganz sicher.

  • R O L L E N S P I E L:

    Dieser Tage umlagerte eine Sturmfront Ashar und schien auch nicht verschwinden zu wollen. Wahrscheinlich war sie Überrest der meist den Orceanik oder Astor treffenden Orkane, die normalerweise auffaserten, bevor sie auch nur die äußersten Grenzen von Lehims Gewässern erreichten. So ergab sich ein Gefühl von Anspannung, gepaart mit Starkregen und unwilligen Inselvögeln, die ihrem Unmut durch Gekreische Luft verschafften und so selbst den lebensfrohen Bewohnern erste Sorgen zu verschaffen drohten. Bei dem unregelmäßigen und schrillen Gekeife der Kakadus konnte man nämlich kaum vernünftig einschlafen oder eine angenehme Pause einlegen. Auch hier in der schiefen Krabbe war man nicht völlig vom Rufen der Vögel und dem ausdauern Platschen des Regens sicher.

  • R O L L E N S P I E L:

    Nach einer kleinen Erkältung des Wirtes wurde zwangsmäßig Ruhetag eingelegt, wonach dessen Neffen den Raum fegten, alles durchlüfteten, drei Stühle und eine Bank austauschten und dann auf den Dielen durch das Fenster dem Nachmittagsregen zusahen. Später würde ihre Kusine zurückkommen, die mit ihrem tumben Bruder, einem Berg von Mann und ebenso stumpfsinnig, neue Kissen und Decken erstanden hatte. Das Fallen des Regens hatte jedoch eine tiefere Ruhe in ihnen ausgelöst, so dass die beiden jungen Männer völlig gemächlich den hektischen Anweisungen ihrer Verwandten nachkamen und sich nicht um das stiere Glotzen des Cousins kümmerten, egal wie sehr er einem Minotaurus ohne Hörner ähneln mochte.

  • R O L L E N S P I E L:

    An diesem vergleichsweise lauen Tag gab es den erwarteten Ansturm zur Rumverkostung. Für einige Stunden war das Gasthaus gerammelt voll und selbst auf der Straße war kaum mehr Durchkommen, während die Konsumenten nach dem neuesten Trunk hechelten. Schließlich hatte ein windiger Vorfahr dereinst ausgehandelt, dass die meisten Hersteller eins hier ihre Produkte präsentieren sollten und so war heute und in der folgenden Woche mit Hunderten oder gar Tausenden von Besuchern zu rechnen, welche in den drei Gasträumen und im Garten kaum Platz fanden. Selbst die Stammgäste mussten daher forcierte Rotation über sich ergehen lassen, damit Leberschäden und Beeinträchtigungen der Gehirnfähigkeit die breite Masse der Bevölkerung trafen.

  • R O L L E N S P I E L:

    An diesem Tag, dem Tag der dreizehn Palmen, geht es um die schrullige einheimische Feier der dreizehn verschiedenen Palmenarten Lehims. Es wäre an sich eine kurzweilige Angelegenheit, wenn nicht vier der Arten im letzten Jahrhundert ausgestorben wären und eine weitere dabei ist, die Welt für immer zu verlassen. Allerdings lässt sich der Befall der besagten Schattenlaubpalme nicht beheben ohne weitere Pflanzenwelt nachhaltig und wahrscheinlich auch mit unumkehrbaren Konsequenzen zu schädigen. Also geben sich die Baumliebhaber in der Kneipe reihenweise die Kante, so als ob Leberschaden den Baumschwund ausgleichen könnte. Aber zumindest brummt der Geschäft mit der Misere.

  • R O L L E N S P I E L:

    Unter dem Sternenhimmel kommt es zu einer Aufführung einer lokalen Heavy Metal Band. Die meisten Anwohner sind daher in den letzten Tag zu Verwandten und Freunden geflohen. Das dumpfe Wummern der Lautsprecher lässt auch die gut gebauten Mauern des Wirtshauses manchmal knackend erbeben, doch noch steht alles fest und sicher, auch wenn auch am dritten Tag - oder besser der dritten Nacht - keine Pause und kein Erbarmen der jungen Musiker zu erwarten ist. Aber das freut vor allem das Publikum und den mittlerweile abgestumpften Kellner, der von einer Bestellung zur nächsten eilt. Dafür sind auch alle Vögel längst geflohen - und die Ratten haben schon vorher das Weite gesucht.

  • R O L L E N S P I E L:

    Ausnahmsweise wird an der Bar einmal über politische Themen gesprochen, doch wie es in Lehim üblich ist, hat das Ganze weniger Ernst und Gewicht als anderswo. In der politischen Debatte geht es vielmehr um die Gestaltung eines musikalischen Eröffnungswerkes für den touristischen Betrieb, wonach die Touristen und andere Opfer durch edles Klangwerk an Häfen und Flughäfen eingestimmt werden soll. Der Knackpunkt liegt in der Frage, ob die alegonische Abkunft oder eher die orceanische Verortung betont werden solle. Beides hat etwas für sich, doch nach einem Kombitest musste der Großteil der Delegierten den Saal verlassen und die Zuschauer abschalten, so grausam war der gemischte Klang. Also kommt nur eine von beiden Varianten in Frage.

  • R O L L E N S P I E L:

    An diesem sonnigen und ruhigen Tag passierte eigentlich gar nichts. Das war natürlich nicht ganz richtig. Natürlich kamen Gäste, wurden Getränke und Speisen verkauft, die Tische gewischt, der Boden gefegt, spielte jemand etwas Musik und die Nachbarskatze blinzelte ein paar zu aufgeregte Kinder an und der Tukan auf dem Baum gegenüber des Hofes verschlief wieder alles. Aber es gab keine besonderen Ereignisse und nichts, woran man sich groß erinnern mag. Aber das Leben ging eben seinen Gang.

  • R O L L E N S P I E L:

    Einer der Vorteile lehimischer Abgelegenheit war die fehlende Berührung mit dem Rest der Hegemonie und der relativen Überflüssigkeit futunischer Fraktionen im Staatsbetrieb. Allerdings gab es dabei auch wesentliche Nachteile, vor allem weil Lehim sich im futunischen Wirtschafts- und Währungssystem befand, welches eben vor allem auf Futuna und seine Fraktionen zugeschnitten war. Dies zeigte sich bei der Zulieferung von Produkten, welche in Lehim selbst nicht hergestellt werden konnten und nicht durch den Freihafen in Ashar beschaffbar waren. Sobald man etwa Gewürze oder andere Produkte aus dem Kernreich anschaffen wollte, prallte das futunische Fraktionssystem mit seinen Megakonzernen auf den syndikalistisch-kooperativen Mix Lehims und sorgte für entweder Geld- oder Zeitverschwendung und manchmal gar für beides auf einmal. Besonders wenn es um Safran ging, also dem teuersten Gewürz der Welt, in der Norm nur im banabischen Hochland angebaut, war das eine leidige, aber oft unvermeidbare Angelegenheit.

  • R O L L E N S P I E L:

    An manchen Tagen lohnte es sich nicht, die Gaststätte zu öffnen, wenn auch aus anderen Gründen als man denken mochte. So auch heute, wo wieder ein touristisches Großereignis stattfand, bei welchem die Gäste zu Hunderten durch die Altstadt strömten. Man möchte nun meinen, dass dies besonders für Gastronomen gerade die Zeit schlechthin wäre, aber "Die schiefe Krabbe" verstand sich ausdrücklich als einheimisches Stammlokal und da war der Erhalt der Stammgäste und der Szene wichtiger als eine Konzentration auf Touristen. Auch wurde hier für die Interessen und Bedürfnisse der Gäste individuell gekocht und so gab es keine besonders gut gestaltete Speisekarte. In der Regel nahm man die aktuellen Wünsche der Besuchenden auf - natürlich unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel. Aber so war es eben Koch, Gästen und Personal am liebsten. Also nahmen alle die Auszeit für persönliche Dinge in Anspruch.

  • R O L L E N S P I E L:

    Der prasselnde Regen gab der Ausstellung von Bildern in den Gasträumen die passende Untermalung. Eilbroon Eliyani war vor drei Tagen verstorben und seinem Willen nach sollte seine Sammlung an Bildern hier an die Gäste verschenkt werden. Also wurden alle präsentiert und jeder vermochte sich eines mitzunehmen. Die meisten davon waren von einheimischen Laien gemalt worden und nicht alle hatten wirklich das große Talent gefunden. Doch alle hatten sie ihr Herz in die Bilder gegossen und waren entsprechend ansehnlich. Die meisten waren Alltagseindrücke Ashars oder Lehims allgemein. Plätze voller Leben, Ecken mit kleinen Details und Besonderheiten, Feste, an die sich außer den Eingeweihten niemand erinnern würde. Einige Bilder zeigten auch einfach nur den Horizont über dem Meer oder den Beginn eines Sturms. Das zentrale und besondere Stück jedoch zeigte eine Frau in einer schlichten grauen Robe auf einem Felsen inmitten einer Wiese von Orchideen, die zum Teil durch den Wind ihrer Blüten beraubt wurden, welche im Bild dann davonflogen. Die Gäste waren vor allem still und staunend und es wurden auch kaum Bilder mitgenommen, zu nah noch war der Abschluss vom verstorbenen Freund, auch wenn man sein Leben feiern wollte.

  • R O L L E N S P I E L:

    Selten geschah es, dass mal ein Gast zum Gehen aufgefordert werden musste, aber auch dies blieb nicht aus, egal wie gelassen die Gesellschaft in Lehim auch sein mochte. Irgendwann fand jeder Mensch mal seine Grenzen und manchmal eben auch in Gesellschaft anderer an öffentlichen Orten, wo das dann für fast alle Beteiligten peinlich wurde. Oder hinterher als peinlich erschien. Barka Karsa war hart im Nehmen und Trinken, seit dreißig Jahren Hochseefischer, Hobbytaucher und - das war der Anlass - begeisterter Papageienfan. Und vorgestern war sein Lieblingspapagei spontan gestorben, scheinbar an einem Herzinfarkt. Und so vermied er jede Mäßigung und Warnzeichen und trank sich bis zur deprimierenden Sauferlaune, bei der er nicht nur sich selbst besuhlte, sondern auch seine sonst so reservierte und zurückhaltende Art überwand, um sich in ein sentimentales und mittelungsbedürftiges Wrack zu verwandeln, bis man ihn schließlich niederrang und aus der Kneipe trug, um ihn dann auszunüchtern, bevor man ihn Frau und Kindern daheim antun konnte.

  • R O L L E N S P I E L:

    Es ist das Fest der blauen Kerze, so benannt nach den seltsamen chemischen Kerzen, die dereinst in Ashar erfunden wurden und welche blau in der Dunkelheit brennen. Nun ist der Gastraum in diesem dunstigen Blau erhellt und die Gäste taumeln ein wenig orientierungslos und schon leicht angetrunken herum. Grundsätzlich ist das Fest nurmehr ärgerliche Tradition und führt zu Sauereien durch orientierungslose Trinker und Raufbolde. Aber man muss eben auch seine eigene Kultur pflegen, egal wie hirnrissig oder sinnlos einem manche Riten erscheinen, solange sie nicht schaden, sind die okay.

  • R O L L E N S P I E L:

    An diesem Tag gibt die Band "Taffiyaarya" ihre kostenlose Probe im großen Gastraum. Die meisten Stammgäste sind daher schon früh mit Mitnahmeessen und Getränken geflohen und nur die "stolzen" Eltern und ein paar Freunde verblieben, um unter den dissonanten Klängen zu leiden. Auch wenn die Stimmen der beiden Sänger gut und kraftvoll sein mögen, so ist doch die Mischung aus Hymnen und Rap eine Zumutung für Gehirn und Gehör der Zuschauer, vor allem durch die Untermalung mit Oboe, Posaune, Elektrogitarre, Simbel und Harfe. Man kann fast vermuten, das "Klangwunder" wäre nach einer durchzechten Nacht im den Kater bekämpfenden Drogenrausch entstanden, während man sich von kosmischen Sphärenklängen hat beschallen lassen. Im Kernreich jedenfalls würde eine solche Darbietung als Waffentest gelten.

  • R O L L E N S P I E L:

    Irgendwelche Mitglieder einer angeblichen Expedition sind durch Zufall auf die Kneipe gestoßen und belästigen die Gäste. Warum auch immer sie nicht einfach verschwinden können, wenn sie nicht erwünscht sind. Das hier ist nicht der Süden Lehims, wo ihre angebliche Expedition stattzufinden hat. Also mischt der Wirt die speziellen Speisen und Getränke, welche er immer ausschenkt, wenn es darum geht, unliebsame Gäste loszuwerden. Die spezielle Flossensuppe mit der Tran- und Wurzelfüllung ist nur was für Perverse und der Schnaps aus Hanuwurzeln und Melonenzucker schlägt erst aufs Denkvermögen und dann aufs Gemüt.

  • R O L L E N S P I E L:

    Die Wahl einer neuen Versammlung hat einige Debatten auch unter den Stammgästen ausgelöst. Letztendlich wird man recht wenig am Kurs ändern. Lehim wird weiterhin recht autonom sein, aber wohl den Rest von Jiklà so weit wie möglich integrieren, nachdem der Großteil der Siedler ins Kernreich abgewandert ist. Die verbliebene Insel sollte möglichst militärfrei bleiben, aber im Notfall kann man sich durch das Zugeständnis Vorteile sichern. Es wird weiterhin viel Tourismus und entsprechende Infrastruktur geben. Vielleicht wird man mehr in die Forschung investieren, so die Mittel denn dafür ausreichen.

  • R O L L E N S P I E L:

    Beim Kokosmilchwetttrinken gab es die übliche Menge an Magenverstimmungen und auch das obligatorische Geschwür. Der ungesunde Zeitvertreib zieht dennoch immer mehr Verrückte an, so dass an Tätern wie Opfern kein Mangel besteht. Die Stammgäste diskutieren anschließend in Lände, Breite und Tiefe über die besten Kokospalmen. Die Wirtsfamilie kann darüber nur grinsen, ist doch jeder Tisch auf anderem Palmenholz gefertigt. Auch wenn es da einige Unterschiede gibt, sind doch alle Tische stabil und gut erhalten. Die Palmen sind daher allesamt gut.

  • R O L L E N S P I E L:

    Von der Hauptinsel kommen die Geologen zu Besuch. Und natürlich gibt es unter den "Wissenschaftlern" auch reichlich Alkoholexperten. Schon nach kurzer Zeit studieren die ersten die Beschaffenheit der Bodenplatten und manch einer auch die Kacheln der Sanitäranlagen. Es werden allerdings auch Proben verlegt, die sowieso nur in Archiven verstaubt wären, denn alles lässt sich nicht ausstellen, was nun aus dem Vulkanstein gezogen wurde. Ein stattlicher Brocken endet gar als Begrenzungsstein im Garten und als Hindernis für wankende Schnapskenner. Nicht lange nach seiner Einweihung findet er auch sein erstes Opfer, das unter Fluchen aufsteht und davonnen stolpert.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!